Ethisches Dilemma als Folge der Pandemie oder:

Verlust des Versicherungsschutzes als Sanktionsmechanismus für Impfverweigerer?

Einleitend zu diesem Kurzversuch der Diskussion über die (teilweise) Abkehr vom Solidarprinzip soll angemerkt werden, dass viele Bereiche der Moral bestreitbar sind, keiner den sog. „moral highground“ für sich allein in Anspruch nehmen sollte und andere gegensätzliche bzw. abweichende Positionen von der eigenen Meinung durchaus ihre Berechtigung haben, weil sie ebenfalls auf guten Gründen bzw. Fakten basieren.

Ich möchte hier keine Wertung der „Impfverweigerer“ per se vornehmen, es wird allerdings nicht zu vermeiden sein, mutmaßliche Folgen dieser Position anzuführen, da diese die Basis für die Fragestellung bilden.

Es soll hier also im Schwerpunkt die Frage gestellt werden, ob und wann der Verlust (durch Entzug) des eigenen Versicherungsschutzes sich als Teil eines politischen Instrumentenkastens zur Eindämmung der Pandemie eignet, bzw. wie dies dann aus ethischer Sicht zu bewerten ist.

An ordnungsrechtliche und arbeitsrechtliche Maßnahmen zur Durchsetzung der Bekämpfung der Pandemie haben wir uns bereits im Alltag – mehr oder weniger – gewöhnt. Die Stimmen gegen diese Verordnungen werden immer lauter und in ihrer Anzahl höher.
Die Impfpflicht soll bereits im ersten Quartal des nächsten Jahres in Österreich beschlossen und zeitnah umgesetzt werden.

Was aber, wenn sich einige (nicht aus gesundheitlichen Gründen) dieser Impfpflicht nicht unterwerfen wollen, und diese verweigern?

Die Vorstellung der Sanktionen ist lang: Von Geldstrafen, Verlust des Arbeitsplatzes bis zum Verlust des Versicherungsschutzes ist alles denkbar.

Auf letzteres möchte ich nun genauer eingehen:

Der Verlust des Versicherungsschutzes als Sanktionsmechanismus für Impfverweigerer.
Ist dies überhaupt denkbar, angemessen und durchsetzbar?

Um auf diese Fragestellung erste Antworten zu erhalten, muss als erstes wohl genau definiert werden, um welche Art von Versicherungsschutz es sich in dieser Diskussion handelt.

Versicherungsschutz der auf den (für jeden) verpflichtenden und geltenden Sozialgesetzen beruht,

oder

Versicherungsschutz der privat und von beiden Vertragsparteien freiwillig abgeschlossen wurde?

Die Versichertengemeinschaft: Einer für alle, alle für einen:

Alle Versicherungen, ob privat oder nicht, haben einen Grundgedanken: Genau definierte Gefahren werden auf eine möglichst große Gemeinschaft aufgeteilt (siehe auch das Gesetz der großen Zahl).

So bewahrt man den Einzelnen im Schadensfall vor schwerwiegenden, möglicherweise existentiell bedrohenden, finanziellen Auswirkungen.
Die Gemeinschaft aller Versicherten trägt den Schaden. Durch die Prämien ihrer Mitglieder ist diese Gemeinschaft wirtschaftlich stark genug, um auch große Schäden zu ersetzen. Die große Gemeinschaft trägt also dazu bei, dass die Prämien „klein“ bleiben.

Widmen wir uns zunächst dem Ruf nach dem (teilweisen) Versagen des Krankenversicherungsschutzes der gesetzlichen Sozialversicherung:

Kann dieser überhaupt als Anreizinstrument in Frage kommen?

Entspricht dies überhaupt der Bundesverfassung der Republik Österreich?

Aktueller Auszug aus der Webseite des Sozialministeriums:

Nahezu die gesamte österreichische Wohnbevölkerung (99,9 Prozent) ist von der gesetzlichen Krankenversicherung erfasst. Die gesetzliche Krankenversicherung bietet den Versicherten und deren mitversicherten Angehörigen umfassenden Schutz im Krankheitsfall.

Die Krankenbehandlung muss entsprechend der gesetzlichen Vorschriften ausreichend und zweckmäßig sein, darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.

Der gesetzliche Anspruch auf Leistungen umfasst – unabhängig von der Höhe des Krankenversicherungsbeitrages – den Anspruch auf Sachleistungen bei Vertragsärztinnen und -ärzten in eigenen Einrichtungen der Versicherungsträger oder in Vertragseinrichtungen (Spitälern) für die im konkreten Fall medizinisch erforderlichen Leistungen. Alle Versicherten und Anspruchsberechtigten haben denselben Anspruch.

Die Leistungserbringung erfolgt Großteils ohne zusätzliche Kostenbelastung der Versicherten, doch bei einigen Versichertengruppen bestehen Kostenbeteiligungen („Selbstbehalte“) für die Versicherten.

Das Krankenversicherungssystem basiert auf dem Prinzip der Solidargemeinschaft. Das bedeutet, dass auch Risikogruppen den Schutz der Krankenversicherung genießen. Besonders dann, wenn die für sie aufgewendeten Kosten über dem Durchschnitt liegen.

Der EuGH hat in einer Grundsatzentscheidung aus diesem Jahr 2012 Versicherungsunternehmen aufgefordert, einheitliche Tarife für Männer und Frauen einzuführen. Vor diesem Hintergrund würde eine Differenzierung z.B. in Geimpfte und Ungeimpfte dieses Urteil unterlaufen. Zumal sich die Frage stellt, welche Gruppen dann zukünftig ebenfalls mit höheren Beiträgen belegt werden sollen. Raucher? Risikosportler? Menschen mit zu wenig Bewegung, mit falscher Ernährung, mit falschem Body Mass Index? Wie will man die objektive Grenze ziehen?

Alles Fragen, die einer solchen Unterscheidung entgegenstehen.

Aus o.g. Gründen halte ich das gänzliche Versagen des Versicherungsschutzes in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht nur für unmöglich und verfassungswidrig, sondern auch als kein probates Mittel, um den Druck auf die sog. Impfgegner zu erhöhen. Auch möglichen Selbstbehalten einer dann neu zu konzipierenden Versichertengruppe der „Ungeimpften“ stehe ich moralisch mehr als skeptisch gegenüber.

Dies sind allerdings zumeist verfassungsrechtliche Bedenken. Moralisch fällt die wesentliche Begründung anders aus.

Insbesondere das Argument der kolportierten höheren Ansteckungsgefahr, die immer wieder ins Spiel gebracht wird, greift derzeit (noch) ins Leere:

Solange wir durch Impfungen noch keine „sterilisierende Immunität“ erreichen, d.h. auch Geimpfte können weiterhin andere anstecken, gibt es gegenüber den Ungeimpften keinen gültigen Vorwurf der vorsätzlichen Verletzung der Unversehrtheit von geimpften Mitmenschen.
Wenn wir diese allerdings durch Weiterentwicklung der Impfstoffe o.ä. erreichen, wird die Diskussion und Beurteilung hierüber – richtigerweise – wieder neu entfacht werden müssen.

Kommen wir zur zweiten Fragestellung:

Verlust von Versicherungsschutz der privat und somit freiwillig abgeschlossen wurde?

Auch hier gilt das Prinzip: Pacta sunt servanda.

Pacta sunt servanda ist das Prinzip der Vertragstreue im öffentlichen und privaten Recht. Es handelt sich um den wichtigsten Grundsatz des öffentlichen ebenso wie des privaten Vertragsrechts.
Verträge, die im Privatrecht getreu dem Grundsatz Angebot und konkludente Annahme abgeschlossen wurden, sind also demnach einzuhalten.

Das gesamte Vertragsrecht geht davon aus, dass ein Vertrag (wie etwa ein privater Versicherungsvertrag) durch mindestens zwei übereinstimmende Willenserklärungen zustande kommt. Diese Willenserklärungen heißen Angebot (der rechtlich als „Antrag“ bezeichnet) und (konkludente) Annahme.

Eine einfache Abkehr von gültigen Bedingungen aufrechter Versicherungsverträge ist also kaum möglich.

Achtung:
Eine dauerhafte Risikoerhöhung kann auch bei aufrechten Verträgen zum Verlust des Versicherungsschutzes führen!

Klar ist hierbei, dass es wohl eher die biometrischen Risiken betrifft, die durch Nichtimpfung erhöht werden:
So kann sich der Zeitraum einer Arbeitsunfähigkeit durch einen intensiven Verlauf von Covid, sowie durch die möglichen Langzeitfolgen erheblich verlängern. Damit einhergehend auch die Schadenshöhe der vertraglichen vereinbarten Folgen einer Betriebsunterbrechung oder gar der Eintritt einer Berufsunfähigkeit einstellen.

Auch eine Schädigung einer anderen Person könnte – im Falle einer Gefahrerhöhung – (aber wieder erst mit dem Erreichen einer „sterilisierenden Impfimmunität“, siehe oben) die Haftpflichtversicherung aktivieren. Eine Abwehrdeckung des Vorwurfs der Ansteckung wäre jedenfalls jetzt bereits theoretisch denkbar.

So obliegt es nun den privatrechtlich versicherten Personen, die sich nicht impfen lassen können, oder wollen, den Versicherer unbedingt über diesen Umstand zu informieren, da es sonst tatsächlich zu Leistungskürzungen, Leistungsfreiheit oder Vertragsauflösung kommen könnte.

Besonderer Beachtung unterliegen natürlich auch Berufe, die hoheitsrechtlich verpflichtet sind, bestimmte Bedingungen (wie Impfung o.ä.) einzuhalten.

Pro futuro werden Versicherungen am privaten Versicherungsmarkt die Risikoeinschätzung der betroffenen Sparten differenzieren, indem Sie ihre Fragebögen für die Angebote um die Punkte Vorerkrankungen durch Covid bzw. den aktuellen Impfstatus sicherlich erweitern, um in weiterer Folge die Annahme des Risikos besser beurteilen zu können.

Moralisch ist an dieser Vorgehensweise kaum etwas zu kritisieren, da es sich hier um geschäftspolitische Entscheidungen der Privatwirtschaft handelt. Und es gilt hier eine sog. Negativ-Selektion, die die Privatversichertengemeinschaft und Ihre Verträge sowie gleichzeitig deren planbare Prämienhöhe schützt.

Die immer öfter gestellte Frage, ob Impfverweigerern der Versicherungsschutz entzogen werden solle suggeriert, dass Impfgegner sich etwas zuschulden haben kommen lassen, für das sie nun bestraft werden sollen. Sie sollen die hohen Kosten für die Behandlung ihrer möglichen Intensivbehandlung selbst übernehmen.

Impfverweigerung ist aber moralisch kein vorwerfbares Verhalten. Viele haben gute Gründe für Ihre Haltung.

Wenn man die Impflücke weiter schließen möchte, sollte man begleitende Aufklärungsmaßnahmen und Anreize anbieten, um die Einsicht zu vergrößern.

Überzeugen und aufklären statt bestrafen halte ich persönlich für den richtigen Weg im Umgang mit Impfzweiflern oder Impfgegnern .

Und im Umgang miteinander.